Man sieht es dem ein wenig plump wirkenden Steinbock nicht an, zu welchen Leistungen er fähig ist. In den felsigen Berghängen der Hochalpen geht er fast senkrechte Wände hoch. Mit schlafwandlerischer Sicherheit saust er durch das Geröll. Dazu müssen die Steinböcke in der Lage sein, kleinste Trittmöglichkeiten im Gestein zu erkennen und blitzschnell zu einer Route zu verbinden. Nur selten rutschen sie auf Eis einmal aus. Im Wildpark könnten sie übrigens aus dem Stand ihren Gehegezaun überwinden, aber da sie alle Bedürfnisse befriedigt sehen, gibt es dazu keinen Anlass.
Die Weideplätze des Steinbocks liegen nie weit von einer felsigen Zuflucht entfernt. In seinem Reich oberhalb der Baumgrenze findet er nur eine kümmerliche Pflanzendecke vor. Hauptsächlich ernährt er sich von Gras. Auch wenn selbst dieses in den langen Wintern schwer zu finden ist, würde der Steinbock niemals in den Wald hinabsteigen. Er trotzt den widrigen Bedingungen unter dem Sternenzelt.
Erst gegen Ende ihres Lebens (ab 10 Jahren) kommen männliche Steinböcke zur Fortpflanzung. Ihre Hörner sind dann lang genug, um damit in den Kämpfen zu bestehen. Da zur Paarungszeit im Winter mit Energie hausgehalten werden muss, bestimmen die Böcke ihre Rangordnung den Sommer über. Zum Kampf stellen sich zwei Konkurrenten auf die Hinterbeine und lassen im Zeitlupentempo ihre Gehörne gegeneinander krachen. Diese Gefechte sind so durchritualisiert, dass ohne Probleme mehrere Männchen in einem Gehege gehalten werden können. Auch für den Pfleger stellen die temperamentlosen Steinböcke keinerlei Gefahr dar.
Vor hundert Jahren stand der Alpensteinbock nach starker Bejagung vor der Ausrottung. Nur im Nationalpark Gran Paradiso hatte ein Restbestand überlebt. Der italienische König wollte jedoch keine Tiere an die anderen Alpenländer abgeben. So entschloss sich der Schweizer Wildpark St. Gallen, Wilderer auszusenden, um heimlich einige Exemplare einzufangen und in die Eidgenossenschaft zu schmuggeln. Die St. Galler wurden nie für ihr illegales Verhalten gerügt, zumal sich die Tiere in menschlicher Obhut gut fortpflanzten. Schon bald konnten überall in den Alpen Steinböcke ausgewildert werden, z. B. auch in Bayern, wo sie einstmals gar nicht vorkamen.
Schon gewusst?
Steinböcke stehen aus einem Schutzgefühl heraus gerne oben auf dem Berg. Täler bedeuten für sie Ausbreitungsgrenzen wie für andere Tierarten Höhenzüge. Außer Adlern kann ihnen kein Feind in dieses schwierige Gelände folgen. Schwindelfreiheit ist natürlich oberstes Gebot. Speziell konstruiert sind bei Steinbock, Gämse und Ziege auch die Hufe: Außen hart wie Stein, innen gummiartig weich und rutschfest. Mit solchen Anpassungen gilt diese Verwandtschaft als körperlich höchstentwickelte Säugetiergruppe; im Naturführer findet man sie deshalb immer ganz hinten.